Holz scheint beim Bauen das Material der Stunde zu sein. Während das 20. Jahrhundert vielleicht als das Jahrhundert des Betons bezeichnet werden kann, ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts weltweit eine Renaissance des natürlichen Baustoffes Holz zu beobachten. Diese Renaissance entspringt einer Reihe von Gründen, die man im weitesten Sinne als technische bezeichnen könnte, sie wirft aber auch kulturelle Fragen auf und bringt erlernte Bilder in Bewegung. 

Die Entwicklung des Stahlbetons war ein letzter Höhepunkt in einem Crescendo immer leistungsfähigerer Baumaterialien und -techniken vom Holz zum Stein, zum Stahl und schließlich diesem extrem leistungsfähigen Verbundmaterial aus Zement, Sand, Kies und Stahl. Das schwache Urmaterial Holz kann in diesem Rennen nur auf Grund der in letzter Zeit deutlich gestiegenen Leistungsfähigkeit von Holzverbundwerkstoffen mithalten. Die überraschende Popularität von Holz beruht aber nur teilweise auf optimierter Tragfähigkeit, sondern eher auf der durch die Klimawende veränderte Priorisierung des emissionsarmen Einsatzes, der Verarbeitung und Entsorgung von Baumaterialien generell. 

So wie die moderne Architektur zur letzten Jahrhundertwende auf die Phänomene ihrer Zeit reagierte, müssten wir als Baumenschen heute auf die aktuellen Phänomene des Klimawandels auf einem drastisch verdichteten Planeten eingehen. 

Ob der Baustoff Holz bei der Bewältigung dieser Krise eine entscheidende Rolle spielen wird oder nicht, hängt von mehreren Faktoren ab. Das Institut für Klimafolgenforschung in Potsdam hat uns zumindest die theoretische Perspektive eröffnet, dass die maximale Bindung von CO2 in Holzkonstruktionen im Bausektor und die zwangsläufig damit einhergehende Intensivierung der Waldwirtschaft rein theoretisch das Klima restaurieren oder die Klimakrise mindestens deutlich abfedern könnten. Unabhängig davon, ob dieses Versprechen auch tatsächlich einzulösen sein wird, ist es unbestritten, dass man auf der Suche nach Alternativen zu der klimaschädlichen Baupraxis im Status Quo an dem Werkstoff Holz kaum noch vorbeikommt, hat er doch potentiell den geringsten Fußabdruck aller Baumaterialien.  

Auf der Suche nach einem adäquaten architektonischen Umgang mit diesem natürlichen und nachwachsenden Baustoff wenden wir uns instinktiv zurück zu traditionellen Holzbauten, die in Europa seit Jahrhunderten vor allem auf dem Land und in den Bergen entstanden sind. 

Denn unter modernen Architekten gibt es nicht so viele Vorbilder (in Europa). Wenn überhaupt, fanden nur einige Inspiration in diesem Material für einen quasi archaisch anmutenden, expressiven Fundamentalismus. Holz war primitiv, technologisch und kulturell rückständig und dann auch zumindest in Deutschland eher mit einem von Anfang an suspekten Heimatstil verbunden, der spätestens nach dem zweiten Weltkrieg eher verpönt war.

Holz schien eher die zweite Wahl, das Massivhaus eigentlich immer überlegen. Holzbauten galten als die weniger beständige und anscheinend weniger wertige Variante, vor allem auch wegen des sichtbaren Alterns des Materials, wenn es dem Wetter ausgesetzt ist. Historisch gesprochen hat der Baustoff natürlich auch immer unter seinem schlechten Ruf bezüglich des Brandschutzes gelitten. 

Was die Sprache europäischer Architektur betrifft, wie sie ab der Renaissance erzählt wurde, leben wir beim Holz allerdings mit einem kulturellen Paradoxon, da diese nicht nur in ihrem Ursprung mit Holz verbunden wurde, sondern sich ihre Sprache ganz buchstäblich, aus der Übersetzung typischer Zimmermannsdetails in das Material Stein entwickelte. Was Gottfried Semper als Stoffwechsel oder Karl Boetticher als den Übergang von der Kernform zur Kunstform bezeichnete, nämlich die „Versteinerung“ von Holzbaudetails, war vermutlich mit dem gleichzeitigen Wunsch nach Kontinuität und der Absicht der Nobilitierung bzw. Stabilisierung verbunden. Schließlich beruht der ästhetische Kanon der klassischen, bzw. neoklassischen Architektur auf dem überlebenden Erbe der Antike, das die Zeiten überstanden hat, gerade weil es mit dem Material Stein verbunden war. Die Semantik der christlich inspirierten europäischen Architektur der Neuzeit bewegte sich weg vom Material Holz. Der Stein wurde selbst zum Ausdruck und Symbol, was dann dazu führte, dass in manchen holzreichen Regionen die Baumeister versuchten, wieder umgekehrt, Steinbauten mit Holz nachzuahmen. Hier schließt sich quasi der Kreis, es wird versucht mit Holz eine steinerne Architektur vorzutäuschen, die ihre Sprache ursprünglich eigentlich aus dem Umgang mit Holz bezogen hat. 

Vielleicht lehrt uns Holz trotz seiner offensichtlichen Unterlegenheit eine andere Interpretation, was es heißt, modern zu sein. Man könnte von einer schwachen Moderne sprechen. Funktionalität und Pragmatismus, Flexibilität, leichte Anpassbarkeit, Material- und Konstruktionsgerechtigkeit und nicht zuletzt Schönheit all das kann mit einem optimal niedrigen CO2-Fußabdruck kombiniert werden. Verbesserte Holztechnologie und verbesserter vorbeugender Brandschutz ermöglichen einen erweiterten Spielraum für die Verwendung des Materials auch in urbanen Kontexten. Auch der Drang nach immer größerer Effizienz kann ausreichend erfüllt werden, denn der Fortschritt im Bauen liegt heute vor allem in der Integrationsfähigkeit von Interventionen, gleich welcher Art, in die natürliche und die gebaute Umwelt; Zukunftssicherheit in der Nutzung und Kreislauffähigkeit in Konstruktion und Material sind die Stichworte, mit der dieser schwache Baustoff zeitgenössischer Architektur Stärke verleiht. Die Kritik an der klassischen Moderne muss nicht zwangsläufig zu Revision all ihrer guten Ansätze führen. Die komplexe Gegenwart in der Stadt zum Funktionieren zu bringen ist ein Motto, das kein bisschen an Aktualität verloren hat. Holz ist dieser Aufgabe nicht nur gewachsen, sondern bringt mit seiner natürlichen Aura große sinnliche Ausstrahlung, die die Bemühungen der ökologischen Bewegung im Kampf um den Erhalt einer lebenswerten oder gar liebenswerten Zukunft in jeder Hinsicht trägt und bereichert. 

 

 

gekürzte Fassung des Vortrags beim Internationalen Holzbauforum, Innsbruck, 30.November 2022